Ein erster Schritt guter Wortschatzarbeit besteht darin, den für den Unterricht relevanten Wortschatz in der Vorbereitung zu identifizieren und vorzuentlasten. Zunächst müssen die Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler beim Auftreten unbekannter Wörter entscheiden: Reicht es aus, dass ein Wort in einem bestimmten Kontext einfach nur verstanden wird oder sollen die Schülerinnen und Schüler es auch wiedererkennen und selbstständig verwenden können? Im ersten Fall reicht eine Worterklärung durch die Lehrkraft aus, im letzteren müssen weitere Aktivitäten zur Erarbeitung und Festigung des Wortes folgen. Je abstrakter und seltener ein Wort, desto wichtiger sind explizite Hinweise der Lehrkraft darauf.
Wortschatzarbeit sollte außerdem über das Lernen von Einzelwörtern hinausgehen.
Einzelne Wörter zu verstehen hilft zwar, an schwierigen Stellen beim Lesen oder Hören das Verständnis zu ermöglichen, bei der Produktion aber, beim Sprechen und beim Schreiben, kommt es weniger auf Wörter als vielmehr Worteinheiten, sogenannte Chunks an. Denn viele Wörter können mit anderen nur in bestimmten Zusammenhängen verwendet werden. So kann man „einen Freund haben“, aber nicht „einen Freund machen“, sehr wohl aber „sich Freunde/Feinde machen“[1].
Die Einführung von Wortschatz erfolgt außerdem immer im inhaltlichen Kontext zur Erarbeitung eines Themenbereichs, z.B. bei einer Handlung wie einem Experiment oder mit einem Bild; dabei sollten die entsprechenden Redemittel gleich mitgelernt werden (z.B. „einen Bunsenbrenner anzünden…“).
Methode
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Möglicher Arbeitsauftrag
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Didaktischer Hinweis
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Relevante Wörter einführen
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Ordne die Wörter auf dem Arbeitsblatt den richtigen Abbildungen zu.
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Die Identifizierung und Einführung wichtiger Wörter kann durch die Lehrkraft erfolgen:
- Visualisierung (Zuordnung Bild-Wort), auch durch eigene Zeichnung
- mündliche Erklärungen
- eigenes Demonstrieren
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Ausgesuchte Wörter aus dem Zusammenhang erschließen
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Sucht die Wörter von der Tafel im Text, markiert sie und erschließt gemeinsam ihre Bedeutung.
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Diese Methode eignet sich als erster Einstieg in Texte in allen Fächern und Themenbereichen. Die Auswahl der Wörter durch die Lehrkraft stellt sicher, dass die Schülerinnen und Schüler sich auf die für das Textverständnis wesentlichen Wörter konzentrieren.
Einzelne Wörter können ggf. durch die Lehrkraft erklärt werden.
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Randbemerkungen
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Achtet bei schwierigen Wörtern auf die Anmerkungen neben dem Text.
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Für das rezeptive Verstehen von selten vorkommenden, aber für das Verständnis notwendigen Wörtern reichen kurze Erklärungen aus; sie können mündlich oder als Glossar zu einem Lesetext erfolgen.
Bei der Lektüre von Fachtexten sichern die Lernenden mündlich besprochene Bedeutungen systematisch, z.B. an der Wandtafel, auf einem Plakat, in einem Wörterheft, mit Randnotizen oder auf Haftzetteln, sodass mit ihnen auch weitergearbeitet werden kann.
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Nachschlagewerke
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Schlagt Wörter, die Ihr für das Verständnis (des Texts) dringend braucht, im Wörterbuch nach.
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Ihre Verwendung muss geübt werden. Wörterbücher müssen dafür immer verfügbar sein. Alternativ könnten je nach schulischem Medienkonzept auch Handyrecherchen erfolgen.
Gerade bei sprachschwachen Lernenden sollte das Verständnis der gefundenen Erklärungen durch die Lehrkraft hinterfragt bzw. herbeigeführt werden.
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Wörter vernetzen: Wortfelder, Wortfamilien, Schlüsselworttabellen (Siehe Tool 50 - Wortschatzarbeit I c - Schlüsselworttabellen nutzen)
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Erstellt ein Wortfeld/ein Cluster[2]/ein Begriffsnetz[3]/eine Wortfamilie zum Thema…
Notiert dabei zu jedem Wort
- ein Synonym oder ein Gegenteil
- einen Über-/Unterbegriff
- einen typischen Satz mit diesem Wort
- …
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Wortfeld = Alle Begriffe zu einem bestimmen Thema
Wortfamilie = Alle Wörter, die morphologisch mit einem Wort verwandt sind (Beispiel: laufen – unterlaufen – Auslauf – läuferisch)
Wörter werden im mentalen Lexikon mit anderen Wörtern kontextualisiert gespeichert, z.B. in Gegensatzpaaren, in Hierarchisierungen (Lebewesen à Tier; Lehnsherr à Vasall…), in phraseologischen Kollokationen („sich jemanden zum Freund machen“) oder in thematischen Wortfeldern.
Polysemie (verschiedene Bedeutungen eines Worts in verschiedenen Zusammenhängen) sollte bewusst thematisiert werden, da sonst neue Wörter oft falsch kontextualisiert werden.
Dies kann auch schon zur ersten Einführung der Wörter mit der Lehrkraft erfolgen.
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Relevante Wörter sammeln
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Siehe Tool 49 - Glossare und Lernkarteien anlegen
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Herkunftssprach-liche Wörterbücher
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Notiere in Deinem Wortfeld/Deinem Glossar/… auch die Übersetzung des Worts in einer weiteren deiner Sprachen.
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Auch die Vernetzung mit der entsprechenden Bedeutung in der Erstsprache kann hilfreich und eine gute Voraussetzung für das Lernen einer Zweitsprache sein.
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Grammatische Lernformen mit angeben
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Notiere bei der Erstellung Deines Glossars auch die grammatischen Lernformen (bei Substantiven Artikel im Singular, Pluralform; bei Verben die Präteritum- und Perfektform).
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Bei Worterklärungen durch die Lehrkraft sollten diese Informationen immer mitgeliefert werden, damit die Wörter für die Lernenden korrekt anwendbar und auffindbar sind.
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Auf folgende Aspekte soll hingewiesen werden:
- Bei mehrsprachigen Lernenden ist das konzeptuelle Lexikon aller Sprachen gemeinsam gespeichert. Wortschatzarbeit kann die Wörter daher auch in der/den anderen Sprachen der Schülerinnen und Schüler vernetzen. Allerdings reicht eine bloße Übersetzung eines Worts in die Muttersprache nicht, wenn das fachliche Konzept nicht auch in dieser Sprache vorhanden ist. Das Wort muss also in beiden Sprachen „mit Inhalt gefüllt“ sein.
- Neurophysiologisch essentiell für den Lernerfolg ist, dass die Schülerinnen und Schüler bewusst reflektieren, welche Informationen sie über die Wörter wissen und lernen (und warum), und dass sie von der Lehrkraft später auch bei der Memorierung unterstützt werden.
- Je komplexer der Input schon bei Kindern ist, desto größer ist ihr Wortschatz. Lehrkräfte bedienen sich deshalb bewusst eines zielgruppenangemessen breiten bildungssprachlichen Wortschatzes (erklären wichtige Begriffe redebegleitend) und reduzieren ihre Sprache nicht zu sehr in Richtung Alltagssprache (stellen aber natürlich sicher, dass sie auch verstanden werden).
Neugebauer/Nodari zeigen an Beispielen eindrucksvoll auf, dass eigentlich gut gemeinte Thematisierung des Wortschatzes auch kontraproduktiv sein kann, wenn z.B. die Schülerinnen und Schüler aufgefordert werden, in einem Text nach unbekannten Wörtern zu suchen[4]. In diesem konkreten Fall fragten sie für das Textverständnis irrelevante Wörter nach, deren Besprechung führte vom Text weg, die Schülerinnen und Schüler hatten aber, ohne es zu wissen, wesentliche Textteile mit eigentlich bekannten Wörter trotzdem nicht verstanden, und am Ende hatten sie auch die eigentlich besprochenen Wörter bereits in derselben Stunde wieder vergessen, weil sie nicht in irgendeiner Form gesichert worden waren. Deshalb sollte Wortschatzarbeit immer in der oben dargestellten Form gezielt und systematisch erfolgen.
Für eine breitere wissenschaftliche Darstellung sowie für spezielle Darstellungen der Wortschatzarbeit in einzelnen Fächern[5] kann auf die umfangreichen Publikationen des LISUM, „Wortschatzarbeit in den Jahrgangsstufen 1-4“ und „Wortschatzarbeit in den Jahrgangsstufen 5-10“, verwiesen werden, die auch ausführliche Unterrichtsbeispiele vorstellt.
Weitere Tipps zu Glossaren, Lernkarteien und dem Umgang mit Schlüsselworttabellen finden sich in den folgenden beiden Tools.
Literatur:
- Nodari, C./Steinmann, C., Fachdingsda, Fächerorientierter Grundwortschatz für das 5.-9. Schuljahr, Buchs: Lehrmittelverlag des Kantons Aargau, 2008
- Ulrich, Winfried, Wissenschaftliche Grundlagen der Grundlagen im Fachunterricht, in: Sprachsensibler Fachunterricht, Handreichung zur Wortschatzarbeit in den Jahrgangsstufen 5-10 unter besonderer Berücksichtigung der Fachsprachen, LISUM Berlin-Brandenburg, Ludwigsfelde-Struveshof 2011 – hier online
Links:
[1] Vgl. Neugebauer/Nodari (2012), S. 91
[2] Siehe Tool 43 - Moderierende/Visualisierende Verfahren
[3] Siehe Tool 38 - Miteinander sprechen - motivierende Methoden
[4] Neugebauer/Nodari (2012), S. 41-42
[5] Winfried Ulrich, Wissenschaftliche Grundlagen der Grundlagen im Fachunterricht, in: Sprachsensibler Fachunterricht, Handreichung zur Wortschatzarbeit in den Jahrgangsstufen 5-10 unter besonderer Berücksichtigung der Fachsprachen, LISUM Berlin-Brandenburg, Ludwigsfelde-Struveshof 2011
Vorhanden sind für die Sekundarstufe Darstellungen für die Fächer: Deutsch, Englisch, Geografie, Geschichte, Mathematik, Biologie - Chemie - Physik