Der Begriff Schreibflüssigkeit bezeichnet die Fähigkeit, eine Textmenge automatisiert, also schnell, leserlich und orthografisch korrekt aufzuschreiben sowie Schreibideen zügig in Worte zu fassen. Analog zur Leseflüssigkeit handelt es sich auch hier um eine hierarchieniedrige Kompetenz, auf der dann die höheren Kompetenzen aufbauen.
Wie beim Lesen gilt also erst recht beim Schreiben: Wenn die Schreibenden, besonders jüngere und/oder schreibschwache Lerndende, noch zu viele kognitive Ressourcen für die Realisierung der Buchstaben und das Nachdenken über die Orthografie aufwenden müssen, sind weniger Ressourcen übrig für die hierarchiehöheren Schreibkompetenzen wie Planen, Formulieren etc. Daher überrascht es nicht, dass die explizite Förderung solcher Basiskompetenzen sich nachweislich positiv auf die darüber liegenden komplexeren Schreibkompetenzen auswirkt[1]. Dies führt zu einer kognitiven Entlastung der weiteren Schreibprozesse, sodass die Schreibenden sich auf die hierarchiehöheren, anspruchsvolleren Teilkompetenzen des Schreibens konzentrieren können.
Abschreibübungen als explizites Schreibflüssigkeitstraining im Rahmen des Deutschunterrichts oder auch in additiven Förderangeboten sind deshalb überaus sinnvoll und nicht etwa antiquiert, sondern Gegenstand aktueller Forschung, an der sich auch das Zentrum für Sprachbildung beteiligt hat und aus der Materialveröffentlichungen hervorgehen werden.
In solchen Materialien werden nach bestimmen Vorgaben entweder fachlich oder vom Wortmaterial her relevante Wörter und Texte nach festen Prinzipien geübt, wiederholt geschrieben und abgeschrieben. Hierbei werden Prinzipien von Orthografie und Wortbildung reflektiert, um ein besseres Verständnis und eine höhere Automatisierung des Schreibprozesses zu erreichen.
Ein Beispiel für solches schulartübergreifendes Vorgehen findet sich bereits in der Reihe „Abschreiben erwünscht“[2]. Hier werden die 100 am häufigsten falsch geschriebenen Wörter der deutschen Sprache in jeweils vierseitigen Einheiten eingeübt. Auf ein Abschreiben der Wörter folgen Übungen zu orthografischen Regeln und am Ende wird ein Text abgeschrieben, der die Übungswörter wieder enthält. Dieser Text ist durch Schrägstriche in Einheiten von wenigen Wörtern geteilt.
Diese Einteilung abzuschreibender Textabschnitte kann bei eigener Erstellung entsprechender Übungen an Alter und Konzentrationsfähigkeit der jeweils Schreibenden angepasst werden. So kann praktisch jeder (im besten Fall inhaltlich relevante) Text im Unterricht zu einem Schreibflüssigkeitstraining werden.
Vorschlag für Schritte beim Abschreiben[3]:
- Lies den ganzen Text zwei Mal genau (und am besten laut).
- Merke Dir nun die Wörter bis zum nächsten Schrägstrich sorgfältig. Lies die Wörter dafür noch einmal Wort für Wort, Silbe für Silbe.
- Jetzt schreibe die Wörter aus dem Kopf genauso hin, wie Du sie nach dem Lesen vor Augen hast.
- Kontrolliere nun ein Wort nach dem anderen.
- Wenn Du einen Fehler entdeckst, streiche das ganze Wort durch und schreibe es noch einmal korrekt darüber.
- Schreibe Dein Fehlerwort auf eine Karteikarte/in das Feld für die Fehlerwörter auf dem Blatt.
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Mit bzw. an den Fehlerwörtern kann dann im Anschluss noch im Sinne einer Lernwörterkartei[4]weitergearbeitet werden.
Eine verwandte und etablierte Form der Abschreibübung ist das Laufdiktat und kann in diesem Kontext noch einmal von einer neuen Seite entdeckt bzw. neuen Zielgruppen erschlossen werden. Denn dadurch, dass zwischen dem abzuschreibenden Text und der Abschrift eine Strecke überwunden werden muss, muss das Bild der Wörter besonders bewusst eingeprägt werden. Diese starke Lenkung der Aufmerksamkeit auf das Schriftbild ist laut Müller ein entscheidender Faktor für das Rechtschreiblernen und damit eben auch für Schreibflüssigkeit. Deshalb bezeichnet er Laufdiktate als „eine der effizientesten orthografischen Übungsmethoden überhaupt“[5].
Da Rechtschreiblernen nur einen Teil des Schreibflüssigkeitstrainings darstellt und weitere Ausführungen an dieser Stelle zu weit führen würden, sei lediglich noch einmal auf die erhellende Handreichung von Müller im Auftrag des Zentrums für Sprachbildung verwiesen, in der wesentliche Erkenntnisse der empirischen Rechtschreibforschung dargestellt und verschiedene Übungstypen (allen voran Rechtschreibgespräche[6]) vor deren Hintergrund beleuchtet und eingeordnet werden.
Weitere Möglichkeiten des Schreibflüssigkeitstrainings sind laut Stephany motorische Schreibübungen, „Wortproduktionsaufgaben wie d[as] schnellen Benennen von abgebildeten Gegenständen oder d[as] Ergänzen von Verben (Fußball spielen, Bücher lesen), d[as] Erweitern von Phrasen (der Hund, der bellende Hund, der laut bellende Hund an der Leine) oder indem einfache Sätze durch Konjunktionen verbunden werden (Der Junge hat Angst. Der Hund bellt. → Der Junge hat Angst, weil der Hund bellt.)[7].
Literatur:
- Müller, Hans-Georg, Rechtschreibung - didaktische Hinweise für Sekundarstufe I, Zentrum für Sprachbildung 2019
- Sturm, Afra/ Nänny, Rebekka / Wyss, Stefanie, Entwicklung hierarchieniedriger Schreibprozesse. In Philipp, Maik (Hrsg.), Handbuch Schriftspracherwerb und weiterführendes Lesen und Schreiben, Weinheim/Basel 2017, S. 84-104
- Sturm, Afra, Förderung hierarchieniedriger Schreibprozesse. In Philipp, Maik (Hrsg.), Handbuch Schriftspracherwerb und weiterführendes Lesen und Schreiben,). Weinheim Basel 2017, S. 266–284
Links:
[1] Wobei mehrfach betont wird, das langes, von Texten losgelöstes Rechtschreib- oder Grammatiktraining sich als nicht bis sogar negativ wirksam erwiesen hat (Schneider/Becker-Mrotzeck et al (2013), u.a. S. 53
[2] Jacobs, August-Bernhard, Abschreiben erwünscht 5/6, 7/8, 9/10, Berlin 2019
[3] stark angelehnt/teilweise zitiert aus: Jacobs, August-Bernhard, Abschreiben erwünscht 7/8, Berlin 2019, S. 4
[4] siehe dazu z.B.: https://www.beate-lessmann.de/material/category/16-woerterklinik.html?download=80:hinweise-zum-ueben-mit-der-woerterklinik
[5] Müller, Hans-Georg, Rechtschreibung - didaktische Hinweise für Sekundarstufe I, Zentrum für Sprachbildung 2019, S. 12
[6] https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/themen/sprachbildung/Durchgaengige_Sprachbildung/ZeS/Rechtschreibgespraeche_Grundschule_ZeS_2019.pdf oder auch https://www.beate-lessmann.de/rechtschreiben/rechtschreibgespraeche.html
[7] Stephany, Sabine, Schreibflüssigkeit. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung) 2019