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Tool 32: Individuell bedeutsam Schreiben I: Schreibzeiten, Dialog-Journal, Lerntagebuch, Portfolio

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Bild: SenBJF

 

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Tool 32, individuell bedeutsam schreiben

Zum einen ist das Schreiben (siehe Tool 26) eine Kompetenz, deren Entwicklung regelmäßiges Training erfordert. Zum anderen kommt noch der motivationale Aspekt hinzu: In der Schreibdidaktik wird in vielen Bereichen vom Strategietraining bis zur Rechtschreibung von Forschenden immer wieder betont, wie sehr die emotionale Steuerung die Qualität dieser Prozesse beeinflusst. So ist z.B. ein separates Rechtschreib- oder Grammatiktraining ohne die Anbindung an motivierende Schreibaufträge wenig bis sogar negativ wirksam. Die Lehrkraft muss also Settings schaffen, in denen die Schülerinnen und Schüler ihr Schreiben als individuell bedeutsam erfahren, sodass sie bereit sind, sich auf Prozesse wie die Planung/Überarbeitung oder auch das Training von noch nicht normgerechten Bereichen ihrer Rechtschreibkompetenz wirksam einzulassen und Erfolge zu erreichen.

Zudem kann individuelles Schreiben zu persönlich als bedeutsam erkannten Themen sowohl die Persönlichkeitsentwicklung als auch die sozialen Kompetenzen und außerdem positive gruppendynamische Prozesse bei der gemeinsamen Arbeit mit den Texten unterstützen. Auch im Hinblick auf die oftmals negativen Erfahrungen in der Schreibbiografie setzt die Erfahrung, dass Schreiben als Ausdruck eigener Wünsche, Gedanken und Gefühle wertvoll ist, einen veränderten positiven Fokus. Dies führt zu einer vertieften, persönlichen Auseinandersetzung mit relevanten Unterrichtsthemen, aber auch allgemeinen Lebensfragen in der Schule.

Derartiges Schreiben verlangt sowohl die Auswahl problemorientierter oder inspirierender Themen in teilweise auch offeneren Aufgabenformen als auch die Schaffung förderlicher Routinen bei der Organisation von Unterricht und Schreibprozess. Dafür bieten sich verschiedene Verfahren an, die oftmals auf der Nutzung eines „Tagebuchs“, „Schreibbuchs“, „Journals“ oder „Lerntagebuchs“ beruhen, für dessen Nutzung ein vorher festgelegter Zeitraum im Unterricht reserviert wird. Dies ist letztlich die Übertragung des aus dem angelsächsischen Raum stammenden Ansatzes „Writing across the curriculum“ auf die schulische Lernumgebung.

Bei der Etablierung derartiger Arbeitsformen hat sich das von Beate Leßmann entwickelte Konzept der Schreibzeiten bewährt, bei dem die Schülerinnen und Schüler in festen Schreibstunden in persönlichen Schreibbüchern freie Texte schreiben, diese vortragen sowie inhaltlich und formal überarbeiten und dabei diverse Schreibroutinen (auch zu Rechtschreibung und Wortschatz) trainieren.

 

Schreibroutinen etablieren nach Beate Leßmann[1]

 

 Schreibbuch für individuelle Texte

  • Alle Schülerinnen und Schüler erhalten ein Schreibtagebuch für individuelle Texte; diese werden feierlich überreicht. Eingeklebt in die Schreibbücher ist ein „Einladungsschreiben“ mit Schreibideen.
  • Anregungen für Schreibideen finden sich auch in Tool 33 (Generatives Schreiben) und Tool 33 (Kreativ schreiben)
  • Die gelungensten Texte können in einem Portfolio gesammelt werden (s.u.).

 

 Feste Schreibzeiten im Unterricht

  • Einmal in der Woche wird eine Schreibzeit fest im Stundenplan verankert, die für das freie Schreiben und die Textbesprechung reserviert ist.
  • In diesen Zeiten finden ggf. auch Rechtschreibrituale wie Rechtschreibgespräche oder individuelles Rechtschreibtraining statt.
  • Die Schreibzeit läuft nach einem festen Plan ab, der auch als Plakat an der Wand visualisiert werden kann.

 

Autorenrunden, Schreiben im Tagebuch, Schreibberatung und Schreibkonferenzen

  • Zu Beginn einer Schreibzeit erfolgen ggf. nach einem spielerischen Einstieg  Textpräsentationen mit einem ritualisiertem positiven Feedback und weiterführenden Hinweisen;
  • Daraufhin haben die Lernenden die Gelegenheit, an ihren eigenen Texten (weiter) zu schreiben, und/oder…
  • Zur Textüberarbeitung kann eine Schreibberatung durch die Lehrkraft stattfinden oder Schreibkonferenzen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig kriterienorientiert (z.B. anhand von Leitfragen oder einer Checkliste) beraten; genaue Arbeitsaufträge dazu finden sich in Tool 27 (Planen – Schreiben – Überarbeiten: Schreibprozesse mit Aufgaben steuern).
  • überarbeitete Texte werden später zum Abschluss der Schreibzeit ggf. erneut vorgetragen.

 

Authentische Schreibsituationen

  • Projekte wie Schülerzeitungen oder Blogs können im Schulleben authentische Schreibsituationen schaffen; auch diese Texte sollten überarbeitet und orthografisch korrigiert werden.

 


Als weitere, sehr persönliche Form der Schreibförderung auch besonders schreibschwacher Lernender eignet sich das Dialog-Journal[2]:

 

Sprachliche Entwicklung mit dem Dialog-Journal fördern

 

 Dialog mithilfe des Schreibbuchs

  • Diese aus der Sprachheilpädagogik stammende Methode besteht aus einem schriftlichen Dialog in Briefform zwischen der Lehrkraft und einem oder einer Lernenden in einem Heft, das zwischen den beiden immer hin- und hergegeben wird. Die Inhalte werden durch die Lernenden und ihre Interessen bestimmt. Das bedeutet, die Lernenden schreiben einen „Brief“ an ihre Lehrkraft zu einem von ihnen frei gewählten, persönlich bedeutsamen Thema und die Lehrkraft antwortet darauf, in dem sie im besten Fall  die Schülerformulierungen  ähnlich wie beim mündlichen Scaffolding nicht explizit korrigiert, sondern wieder aufnimmt und dabei bildungssprachliche Formulierungen modellhaft korrekt verwendet.

 

 Fördereffekt

  • Durch die themenzentrierte Kommunikation werden die Lernenden nachweislich gefördert, da sie z.B. von der Lehrkraft verwendete Formulierungen und Satzmuster bei der Antwort auf die entsprechenden Inhalte nachahmen. Es findet also neben dem inhaltlichen Austausch ein implizites sprachliches Lernen statt und Schreibmotivation und -flüssigkeit werden zusätzlich gefördert.

 

 

Geeignet für den Unterricht aller Fächer ist auch die Variation des Schreibbuchs als Lerntagebuch, in dem die Schülerinnen und Schüler z.B. am Ende jeder Stunde oder am Ende einer Unterrichtseinheit ihren Lernweg reflektieren bzw. den weiteren Lernprozess planen. Damit schulen sie nicht nur ihre Schreibkompetenz, sondern vertiefen ihren Lernprozess. Eine Darstellung verschiedener Ansätze mit Literaturhinweisen findet sich auf den Seiten des Bildungsservers[3].

 

Lerntagebücher in allen Fächern nutzen

 

 Schreibbuch als Lerntagebuch

  • Das Lerntagebuch ist ein Schreibbuch, in dem die Schülerinnen und Schüler nach Leitfragen oder Kriterien ihren Lernprozess selbst planen und/oder einschätzen.

 

 Lerntagebuch als Planungsinstrument

  • Die Schülerinnen und Schüler können z.B. dazu aufgefordert werden, sich am Anfang der Woche Ziele zu setzen,
  • …und diese am Ende der Woche – gemeinsam mit der Lehrkraft – zu reflektieren.

 

 Lerntagebuch zur Reflexion des Lernprozesses

  • Das Schreibbuch kann auch für eine Reflexion am Stundenende genutzt werden. Dazu dienen z.B. folgende Leitfragen: Was habe ich heute gelernt? Wie gut habe ich es gelernt? Warum habe ich es so gut (oder weniger gut) gelernt? Was waren die Gründe oder Faktoren?

 

 Feste Zeitfenster zum Schreiben im alltäglichen Unterricht

  • Für die Arbeit mit dem Lerntagebuch haben sich feste Routinen bewährt (z.B. jeweils fünf Minuten am Stundenende).

 

 

Mit Portfolios Lernerfolge schriftlich dokumentieren

 

Das Portfolio hingegen ist eine Arbeitsmappe, in der die Schülerinnen und Schüler ihre Texte zu vorher festgelegten Themen und Aufgabenstellungen nach definierten Kriterien sammeln sowie den Arbeitsprozess in Reflexionstexten planen und bewerten[4]. Da der gesamte Arbeitsprozess schriftlich dokumentiert (und anschließend präsentiert) wird, findet neben dem fachlichen auch ein intensives schriftsprachliches Kompetenztraining statt. Schülerinnen und Schüler erfahren dabei, wie Schreiben dem fachlichen Erkenntnisgewinn dient.

Für sie bedeutet Portfolioarbeit einen selbstgesteuerten, binnendifferenzierenden und intensiven Recherche- und Arbeitsprozess. Dabei haben sie die Möglichkeit, aus dem vorgegebenen Rahmen ein Thema selbst zu wählen, das für sie eine persönliche Bedeutung besitzt. Dadurch entsteht ein hoher Motivationsfaktor.

Vor Beginn der Arbeit stellen die Schülerinnen und Schüler in einer Einleitung ihr persönliches Interesse dar, legen Ziele fest und planen die Arbeitsschritte. Während der Portfolioarbeit gehen Lesen, Arbeiten, Experimentieren oder andere Tätigkeiten sowie Schreiben Hand in Hand, da sowohl der Arbeitsprozess als auch die Arbeitsergebnisse für das Portfolio verschriftlicht werden. In einem abschließenden Reflexionstext schätzen sie den eigenen Lernprozess und Arbeitsweg nach zuvor besprochenen Kriterien oder Reflexionsfragen ein. Nach der Fertigstellung der Portfoliomappe werden die Ergebnisse den Mitschülerinnen und Mitschülern und wenn möglich auch den Eltern präsentiert.

 

Vorschlag für ein Projektportfolio

 

 Das Portfolio – die Arbeitsmappe

 

 1. Vorwort

  • Vorwissen und persönliches Interesse am Thema
  • Ziele, die mit der Portfolioarbeit verbunden werden (Wissensziele und Forschungsfragen, Ziele in Bezug auf den Lernprozess, persönliche Ziele...)

 

 2. Arbeitsaufträge

  • Pflicht- und Wahlaufgaben
  • Unterschiedliche Lerntypen berücksichtigen
  • Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade berücksichtigen
  • Außerschulische Lernorte berücksichtigen

 

 3. Reflexion

  • Wissenszuwachs
  • Persönliches Interesse
  • Arbeitsprozess
  • Gestaltung der Mappe

 Das Portfolio – der Arbeitsprozess

 

 1. Gemeinsamer Beginn

  • Einführung in das Thema im Klassenverband
  • Ziel: Interesse wecken, Forschungsfragen formulieren, persönliches Arbeitsanliegen festlegen
     

 

 2. Individuelle Arbeitsphasen

  • Arbeit zu selbst gewähltem Thema mit einem vielfältigen Angebot an Aufgaben und Lernorten
  • Beratungsgespräche durch Lehrerinnen und Lehrer oder durch Mitschüler

 

 3. Präsentation

  • Vorbereitung der Präsentation, ggf. in Gruppen; dazu auch Visualisierungen und Aufgaben für Mitschülerinnen und Mitschüler vorbereiten
  • Nachbesprechung als Feedbackrunde

 

 4. Beurteilung und Bewertung des Portfolios

  • Portfoliobrief: persönliche Rückmeldung an die Schülerinnen und Schüler anhand der Kriterien zur Reflexion
  • Checkliste/Kompetenzraster mit bekannten Kriterien zum Ankreuzen
  • Mischung aus beiden Verfahren

 

 


[1] Siehe dazu: https://www.beate-lessmann.de/

[2] Siehe dazu: Susanne Wagner, Christa Schlenker-Schulte: Sprach-, Lese- und Schreibförderung mit Dialog Journalen. In: Stephan Sallat et al (Hrsg.): Sprache professionell fördern. 2014, S.129-133

[3] Siehe dazu https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/schule/schulen-in-berlinbrandenburg/schulformen-schularten/schulformen-brb/oberschule/selbstgesteuertes-lernen/ 

[4] vgl. z.B. Winter, Felix et al, Portfolio im Unterricht, Seelze 2008